Nun folgt das (vorerst) letzte Gedicht
der Lyrischen Post:
Seetang
Es kann sein, wer weiß,
dass die Möwen schreien, wenn es soweit ist,
herzzerreißend wie ein Fisch, dieser kaltglänzende
Gesell der Tiefe,
der im selben Moment verschlungen wird.
Man möchte, man will, bestenfalls wünscht man sich,
auch im Alter versucht man noch, einen Schatz
zu heben.
Doch die Zeit
grinst dich an mit ihren verfaulten Zähnen,
spielt gemütlich mit ihrer Sanduhr und wartet ab.
Sie ist die einzige, die Geduld hat. –
Da war ein Gefühl, das man gerne noch einmal
spüren würde,
zu dem man Zuflucht nahm,
während andere sich zerfleischten.
Ich zum Beispiel
versteckte mich gerne in einer geteilten Nussschale,
ritt auf der Schaumkrone einer Welle,
unterhielt mich mit Seepferdchen,
wenn das Meer in der Sonne lag
und die Wellen sangen.
Da war ein Gedanke, den man verfolgt,
mit Bojen versuchte man ihn zu ankern,
da war eine Entschuldigung,
eine Umarmung,
eine uralte Flaschenpostsehnsucht,
die sich nicht erfüllte.
Kann sein, dass ein Sturm aufkommt,
wenn es soweit ist, ein Orkan,
und die Nussschale mit einem Blitz zerschlägt,
dass Haifischskelette klappern,
ein kleiner Kobold mit einer Axt im Maul
und tanggrünem Haar erscheint.
Kann sein,
dass das Meer aufflammt,
ganze Landstriche unter sich begräbt,
Liebende auseinander reißt
und Kreuzer am Horizont aufziehen,
manche Inseln und Strände, auch Frauen,
die nach Milchkaffee schmecken und brauner Haut –
dorthin wäre man gerne noch einmal
aufgebrochen.
Doch die Zeit, die Piratenbraut,
sitzt hoch oben in einem Korb aus Bast, nirgendwo
Land in Sicht,
sie jongliert gemütlich mit ihrer Sanduhr,
keiner, der ihr das Wasser reichen kann. Nur
mein Seesack,
der mein gepökeltes Salzwasserherz beherbergt,
der bleibt.
Ich schultere ihn
und suche nach der Lagune, vor der ich
P.S. Das letzte Wort habe ich nicht vergessen.
Ich maße mir nur nicht an, das letzte Wort zu haben.
Bitte füllen Sie es, wie Sie alle Gedichte gefüllt haben,
mit (Ihrem) Leben, mit (Ihren) Wörtern.
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